Patient*innen, die außerklinische Intensivpflege benötigen droht lebensbedrohliche Unterversorgung

Berlin (kobinet) berichtet: Am 31. Oktober 2023 tritt Art. 2 des Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetzes (GKV-IPReG) und damit eine Neufassung von § 37 Absatz 2 Satz 3 SGB V in Kraft. Dies hat zur Folge, dass Menschen mit einem besonders hohen Bedarf an medizinischer Behandlungspflege (nicht nur zwingend Beatmungspflege, also zum Beispiel auch bei neurologischen Erkrankungen wie Epilepsie oder Stoffwechselerkrankungen) ab diesem Zeitpunkt grundsätzlich keinen Anspruch mehr auf Leistungen der häuslichen Krankenpflege (HKP) nach § 37 Absatz 2 SGB V haben. Ab diesem Zeitpunkt besteht dann für diese Patient*innen ausschließlich ein Anspruch auf außerklinische Intensivpflege (AKI) nach § 37c SGB V.

Patient*innen mit einem besonders hohen Bedarf an Überwachung ihrer Vitalfunktionen, die außerhalb von Kliniken unterstützt werden, droht eine lebensbedrohliche Unterversorgung, so dass der Gesetzgeber hier dringend handeln muss.

Bericht von kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul

Nach den Regelungen der Außerklinischen Intensivpflege-Richtlinie (AKI-RL) des Gemeinsamen Bundesauschuss (G-BA) darf die außerklinische Intensivpflege (gemeint ist die Versorgung in der eigenen Häuslichkeit, in vollstationären Pflegeeinrichtungen, in Wohngemeinschaften oder auch in Kindertagesstätten und Schulen) für beatmete und trachealkanülierte Versicherte ab diesem Zeitpunkt nur noch durch einen kleinen Kreis von besonders qualifizierten Ärzt*innen und vorheriger Einschätzung eines gegebenenfalls vorhandenen Entwöhnungspotenzials von Beatmung oder Trachealkanüle verordnet werden.

Die beteiligten Akteur*innen im Gesundheitswesen arbeiten zwar derzeit mit Hochdruck daran, dass bis zum 31. Oktober 2023 ausreichend besonders qualifizierte Ärzt*innen zur Verfügung stehen, um die Weiterversorgung von Patienten*innen mit Bedarf an außerklinischer Intensivpflege zu gewährleisten. Doch nun steht fest, dass es nicht gelingen wird, bis zu dem besagten Stichtag im Oktober geeignete (barrierefreie) Strukturen flächendeckend aufzubauen.

Patient*innen berichten bereits, dass selbst ihre bisher HKP verordnenden Ärzt*innen, aufgrund der in der AKI-Richtlinie des G-BA neu spezifizierten Aufgaben, nicht werden erfüllen können. Grund dafür sind unter anderem die aufwändige Koordination der Gesamtversorgung und der daraus resultierende hohe Zeitaufwand für die Betreuung einzelner Patienti*nnen mit Bedarf an außerklinischer Intensivpflege. Der hohe Aufwand, der zudem höchstens mit unwirtschaftlichen 50,97 € pro Verordnung vergütet wird, gehe zulasten anderer in der Praxis betreuter Patient*innen und könne daher künftig nicht mehr geleistet werden.

Die Befürchtung gründet sich auf Aussagen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) beim CODY innovation hub am 13. Juni 2023 in Berlin: für ca. 18.000 beatmete und trachealkanülierte Patient*innen gibt es demnach bisher lediglich 257 zur Potenzialerhebung befugte Ärzt*innen. Für alle ca. 22.000 Patient*innen mit Bedarf an außerklinischer Intensivpflege stehen insgesamt nur 591 verordnende Ärzt*innen zur Verfügung. Die fehlende oder eingeschränkte Barrierefreiheit der Praxen schränkt die Anzahl der tatsächlich zur Verfügung stehenden Ärzt*innen zusätzlich ein.

Für die Potenzialerhebung von Kindern werden die Spezifizierungen der zugelassenen pädiatrischen Fachärzt*innen aktuell noch im G-BA überarbeitet, so dass hier bis zum Stichtag keine Basis für die flächendeckende Sicherstellung der fachärztlichen Verordnungsvoraussetzungen zu erreichen ist.

Angesicht dieser Zahlen lässt sich absehen: Den besonders vulnerablen AKI-Betroffenen droht zum 31. Oktober 2023 – also in ca. vier Monaten – eine lebensbedrohliche Unterversorgung. Es bedarf daher dringend einer Gesetzesänderung mit einer angemessenen Übergangsfrist von zwei Jahren, um der entstandenen strukturellen Mangellage angemessen zu begegnen. Gleichzeitig muss der Aufbau flächendeckender Versorgungsstrukturen vorangetrieben und damit zunächst mindestens die Verordnungssicherheit für alle betroffenen Patient*innen hergestellt werden.

Die Krankenkassen setzen bezüglich ihres Sicherstellungsauftrages für diese lebenssichernde Leistung ganz auf das Engagement der Patient*innen, deren An- und Zugehörigen und der bisher verordnenden Ärtzt*innen. Ganz getreu dem Motto: „Lasst uns doch erstmal abwarten, und nicht in Hysterie verfallen!“.

Also: Hoffen wir mal – – wird schon!

Ein Schlag ins Gesicht derer, die zu Recht um ihre Versorgungssicherheit bangen und deren selbstbestimmtes Leben bald der Vergangenheit angehören könnte.

Während die Qualitätsversprechen des IPReG für AKI-Patient*innen in absehbarer Zeit unerfüllbar sind, kommen aber andere Akteur*innen ihren Träumen immer näher: wurden auf der einen Seite Fehlanreize abgeschafft (wir erinnern uns alle an die „Beatmungs-WGs“ im 5. Stock ) schießen auf der anderen Seite neue Fehlanreize wie Pilze aus dem Boden: die Vermittlung von Patient*innen in pneumologische Weaning-Zentren sowie deren sogenannte „erfolgreiche“ Beatmungsentwöhnungen bringen Boni für Pflegedienste und Kliniken. Dies zu klären, hat man immerhin bereits vor dem Stichtag geschafft.

Ungeklärt bleibt: Was heißt „erfolgreich“ von der Beatmung entwöhnt? (bei einer Mortalitätsrate von durchschnittlich 25 Prozent). Wir von den kobinet-nachrichten bleiben dran und berichten weiter über das Vabanquespiel mit den Patient*innen in der außerklinischen Intensivpflege.

Zum Hintergrund:

Außerklinische Intensivpflege (AKI):

Mit dem sehr umstrittenen Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz (GKV-IPReG) wurde die AKI aus der häuslichen Krankenpflege ausgegliedert und in eine eigene Regelung überführt. Aufgrund dieser neuen Systematik haben gesetzlich Versicherte, die beatmet, trachealkanüliert oder aus anderen Gründen auf Intensivpflege angewiesen sind, ab dem 31. Oktober 2023 keinen Anspruch mehr auf häusliche Krankenpflege, sondern können nur noch AKI nach der Spezialvorschrift des § 37c SGB V erhalten. Das hierdurch geschaffene Sonderrecht für Intensivpflegepatient*innen und ihren Ausschluss vom Anspruch auf häusliche Krankenpflege hatten die Fachverbände für Menschen mit Behinderung im Gesetzgebungsverfahren nachdrücklich kritisiert.

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